Peter Greenaway: "100 Objects to represent the World", 1992. Foto: Manu Luksch
Peter Greenaway: "100 Objects to represent the World", 1992. Foto: Manu Luksch
Peter Greenaway: "100 Objects to represent the World", 1992. Foto: Manu Luksch

100 Objekte dieser Welt/100 Objects to represent the world

Einleitung von Peter Greenaway

Vor nicht allzulanger Zeit schickten die Amerikaner eine Fracht ins All, die die Welt repräsentieren sollte. Sie wurden nicht gefragt, einen Beitrag zu dieser Repräsentation zu leisten und ich auch nicht. Was für eine Welt wollte man repräsentieren, wenn Sie und ich nicht gefragt wurden?
Der Laderaum war begrenzt. Es ist verständlich, daß sie nicht den Lesesaal des British Museum oder das Metropolitain Museum in New York, den Louvre, den Tah Mahal oder die große Cheops Pyramide, oder den Petersdom von Rom ins All schicken konnten. Aber was kann in einem kleinen Raumschiff von der Welt dargestellt werden? Man hätte ein Foto von jenen Objekten besorgen können und die Fotographien hätten möglicherweise von Fotographie und Papier erzählt, bei genauerer Untersuchung vielleicht sogar von Kamera, Licht, Azetat, Silbernitrat und Papierherstellung - vielleicht. Aber könnten diese Fotographien von relativer Größe und Baumaterialien künden, von Shakespeare, Büchern, ausgestopften Tieren, der Mona Lisa, I.M.Pei, Trauer, Hinduismus, Dreiecken, Despotismus, Michelangelo, Christentum und der Kreuzigung, in der richtigen Position oder auf dem Kopf stehend? Und wenn es unsere Absicht war, daß der Außerirdische durch das Betrachten der Fotos etwas über die Erde lernen sollte, wie könnten wir sicher sein, daß die Absicht unserer Botschaften so verstanden würden, wie wir sie verstanden haben wollen, besonders, da wir hier auf der Erde Probleme damit haben, uns gegenseitig unsere Botschaften zu übermitteln? Es ist seltsam, aber durch die Art, wie wir vergangene Epochen betrachten, wird Michelangelo besser im Gedächtnis behalten als Petrus, und der Petersdom erscheint ehrwürdiger als Petrus - wird vielleicht Michelangelo eines Tages bekannter sein als Christus? Unter einigen ist er es vielleicht schon.

Und bedenken Sie das Problem der Repräsentation. Stellen Sie sich vor, die Männer dieser Welt wären durch Ihren Vater repräsentiert und stellen Sie sich vor, die Frauen dieser Welt wären durch Ihre Mutter repräsentiert und stellen Sie sich vor, die Tiere dieser Welt wären durch Ihren Hund repräsentiert. Was für ein repräsentatives Bild hätte dann ein Außerirdischer von Männern, Frauen und Tieren? Und noch problematischer. Gehen Sie in den Naguru National Park und betrachten Sie das 42. Zebra, links unter dem Eukalyptusbaum mit dem abgebrochenen Zweig - ist dieses Zebra wirklich repräsentativ für alle Zebras, und wenn nicht, wüßten sie warum? Wenn morgen ein Sturm kommt und die Zebras fliehen in verschiedene Richtungen, wären sie in der Lage, das 42. Zebra wiederzuerkennen? Sie könnten Ihre Mutter nach einem Sturm wiedererkennen, warum nicht ein Zebra?

Da das amerikanische Raumschiff 1977 ins All geschickt wurde, ist es wahrscheinlich, daß diese Ladung von repräsentativen Details, alle in einem engen technologischen Raum ordentlich verpackt, Ihnen etwas über die Mitte der Siebzigerjahre mitteilen wird, vielleicht besonders über die Siebzigerjahre in Amerika vom Standpunkt der weißen Mittelklasse mit einem Hang zu Bürokratie und Wissenschaft. Vielleicht nicht einmal so sehr eine Vorliebe, als ein historisches Vorurteil. Aber diese Spitzfindigkeiten, die für uns vielleicht faszinierend sind, sind für unsere Außerirdischen höchst undurchschaubar, denn bevor das Raumschiff ein Lichtjahr zu dem glücklichen oder unglücklichen Außerirdischen gereist ist, kann seine Fracht ebensogut den Kaiser Ho Ching vom Peking des Jahres 543 repräsentieren, oder die Aborigines Südaustraliens 4000 Jahre davor, oder die Bevölkerung der Vancouverinseln in 4000 Jahren.

Auch weiß man, daß alles etwas anderes repräsentiert, aber dennoch keine zwei Dinge genau gleich sind, daß die Sprache ungenau ist und unter 347 Billionen irdischer Wörter ein perfektes Synonym nicht zu finden ist.
Wer könnte also darüber überrascht sein, daß Repräsentation eine Fälschung ist, mit widersprüchlichen und paradoxen Überlegungen über ein wirklich unzureichendes Werkzeug für irgendetwas anderes als den kleinsten Zeitraum in einer Gemeinschaft, die eine möglichst einheitliche Kultur teilt.

Es gibt noch eine Merkwürdigkeit. Der Laderaum des Raumschiffs Voyager ist in Kubikzentimetern meßbar und auf seine Art, wie mir gesagt wurde, vergleichbar mit den inneren Maßen des innersten heiligen Raums der großen Cheops Pyramide. Zumindest werden diese zwei vollkommen verschiedenen, von Menschenhand geschaffenen Räume durch ein französisches Vermessungssystem miteinander verbunden, sowie durch die Tatsache, daß sie beide hier auf dieser Seite erwähnt worden sind. Ich bin sicher, hätte man die Geduld und den Willen, man könnte noch weitere zehntausend Gemeinsamkeiten finden, die sie verbinden. Vielleicht werden Sie und ich auf diese Weise doch noch auf dem Raumschiff Voyager aus dem Jahr 1977 repräsentiert, einem Raumschiff, das jetzt und bis zum Jahr 3000 irgendwo in der Galaxis der Milchstraße auf seine Erforschung wartet.

Sollte noch eine Raumfähre auf eine ähnliche Mission gesendet werden, dann sollten wir alle die Möglichkeit haben, zu entscheiden, was geschickt wird, um uns in unserer Verschiedenartigkeit zu repräsentieren, in unserer Verletzlichkeit, unserer Minderwertigkeit und unserem Größenwahn. Die Austellung von 100 OBJEKTEN DIESER WELT in Wien in der Hofburg und im Semperdepot ist ein zweiter Versuch, auf dieses Problem aufmerksam zu machen.

Ein Museum, eine Galerie, eine Sammlung von Kunstgegenständen vereinigt in einem Raum, unter einer Idee, einem Thema, von einem Kurator, ist eine Art Repräsentation dieser Welt. Dies karikiert das menschliche Bestreben, alles vollständig enzyklopisch repräsentieren zu wollen - aber in Kurzform. Es berücksichtigt Maß und Zeit, Männlichkeit und Weiblichkeit, Katze und Hund. Es wird alles zur Kenntnis genommen - alles Lebendige und alles Tote. Es sollte nichts ausgelassen werden - kein Material, keine Technik, keine Art, keine Wissenschaft, keine Kunst und keine Disziplin, keinen Entwurf, keine Illusion, kein Trick und Behelf, den wir verwenden, um unsere Eitelkeit, unsere Unsicherheit und unsere Zweifel wiederzuspiegeln, sowie unseren Unglauben davon, daß wir alle kosmisch so irrelevant sind. Da jedes natürliche und kulturelle Objekt so komplex, und alles so endlos miteinander verbunden ist, sollte dieses Ziel nicht so schwierig sein, wie man es sich vorstellt. Und in diesem prahlerischen, sich selbst verspottenden Ziel, so allumfassend enzyklopädisch zu sein, liegt vielleicht die größte Repräsentation menschlichen Bestrebens, das uns so bis hierher gebracht hat - gewiß bis zum Herbst 1992.
Ausstellung anläßlich der 300 Jahr Feier der Akademie der bildenden Künste Wien in der Hofburg Wien, im Semper Depot und in der Akademie der bildenden Künste, 2.10. bis 8.11.1992, geöffnet täglich (außer Dienstag) von 10:00 bis 18:00 Uhr.

Kurator: Peter Greenaway
Projektleitung: Elisabeth Schweeger
Mitarbeiter: Barbara Clausen, Manuela Luksch, Chris Sichrovsky
Fotos: Reinhard Mayr, Manuela Luksch, Helga Mayringer
Presse: Virgil Widrich

Ereignisse

11. Juni 1992 – 08. November 1992
6-monatige Mitarbeit an der Ausstellung "100 Objects to represent the world" von Peter Greenaway in der Hofburg, dem Semper Depot und der Akademie der bildenden Künste, die internationales Aufsehen erregt.